Ich muss leider zugeben, dass ich der Idee, mich für ein Jahr zu verabschieden und in einem anderen Land zur Schule zu gehen, skeptisch gegenüberstand. Ich hatte zwar den Vorteil, dass ich seitdem ich klein war schon sehr gut Englisch sprechen konnte, aber ich hatte doch immer noch sehr viel Respekt gegenüber dem Vorhaben. Zumindest bis es dann endlich losging. Meine letzten Tage in Deutschland gingen nur schleppend vorbei, und die Panik meiner Mutter, ob ich denn alles dabei habe, besonders Socken und Unterhosen, war durchaus berechtigt. Aber so fing es dann an, die letzten Kinobesuche, Umarmungen und Glückwünsche und schon saß ich gefühlt auch schon im Flieger Richtung Frankfurt, um dort zusammen mit einer Gruppe unsere Rundreise durch die East-Coast Großstädte zu wagen.
Angefangen mit New York, gefolgt von Philly und D.C. ging es so über die nächsten Tage von Sightseeing am Times Square, zur Statue of Liberty und schließlich zum Kapitol. Ich merkte in dieser Zeit immer mehr, dass ich mich darauf einstellen musste, mein Deutsch ein bissen einrosten zu lassen. Und so kam der …nun ja, „der“ große Tag kam ja schon. Eine Sache die man nie unterschätzen sollte, ist das der wichtigste Tag nicht der der Abreise ist, sondern der Tag, an dem ankommt und seine Gastfamilie in allen Facetten kennenlernt. Es war auch an diesem ersten Abend, in meinem Fall, dass ich merkte, wie chaotisch dieses Jahr sein sollte. Es gibt durchaus schlimmere Erlebnisse, aber an dem ersten Abend tief, tief in Ost –Texas an einem dunklen, abgelegenen und besonders schwülen Flughafen, mit Koffern unter den Armen, zu stehen, und niemanden zu sehen, gehört wohl zu den schlimmsten Erlebnissen, die man in solch einer Situation erleben kann. Auch wenn der Grund dafür, eine einfache Fehlinformation der Airline war, da mein Flug zwar als verspätet ausgeschrieben war, jedoch früher als geplant abhob. Stellte sich heraus, dass meine Gastfamilie mit meinem zukünftigen Gastbruder Louis aus Frankreich bei McDonald’s saß, als ich panisch in mein Telefon schrie, dass hier wohl etwas *gewaltig* schief laufen zu schien.
Natürlich ist jede Gastfamilie anders, so wie auch jede Familie anders ist. Und auch wenn manche Familien sich ähneln, glaube ich immer noch daran, dass meine Gastfamilie einzigartig ist. Und ich merke ebenfalls, dass ich nach diesem Jahr, das „Gast-“ nicht mal mehr so häufig benutze sollte, nicht wenn mir ein dabei kalter Schauer den Rücken entlangläuft.
Wie sich nachher herausstellte, war das erste Auto das mir an jenem Abend entgegenkam, nicht das meiner Gastfamilie, sondern meiner Betreuerin, auch als Area Rep bekannt, Darlene, die alles dafür tat, dass Ich mich erstmal beruhigen konnte. Und so kam nun schließlich meine Gastfamilie, und holte mich ab.
Meine Gastfamilie, war wohl die netteste, verständlichste und teils chaotischste Gruppe Menschen, die ich mir wünschen konnte, und auch wenn es natürlich Momente gab, an denen es mal kleinere Streitereien gab, so hat schlichtweg alles gepasst, und das war für mich das wohl beste und erstaunlichste Merkmal meiner Gastfamilie. Es ist nicht immer einfach, sich in eine so dick zusammengewachsene Familie einzuleben, besonders, wenn man es als Einzelkind in Deutschland nicht gewohnt ist, plötzlich sechs Geschwister zu haben (zwei Brüder und vier Schwestern). Ich habe dann, als wir eine Stunde später zuhause ankamen, nur noch meinen Koffer ins Zimmer ziehen können und bin dann auf die untere Etage eines Hochbettes gefallen und konnte endlich wieder schlafen.
Der Schulalltag brachte ein paar neue und durchaus interessante Elemente mit sich. Zum Beispiel, dass ich jeden Tag den gleichen Stundenplan hatte, wodurch ich manche der Inhalte besser im Kopf habe, als Prüfungsinhalte meines Abiturs, was besonders bei Geschichte außergewöhnlich ist. Ebenfalls war es praktisch, dass der Schulbus einen zwar dazu brachte, um 6 Uhr morgens aufzustehen, man dadurch aber auch in der Schule zusammen gefrühstückt hat, und man so mehr Zeit mit seinen Freunden verbringen konnte, da eine gemeinsame Stufe nicht immer vorausgesetzt hat, dass man auch zusammen Unterricht hat. Ich konnte mich schnell an diesen neuen Alltag gewöhnen, auch wenn die Wintertage immer schlimmer wurden, da ich meistens vor Sonnenaufgang schon auf den Bus wartete und erst nach Sonnenuntergang vom Basketball nach Hause kam.
Der Zusammenhalt mit der Gastfamilie ist überaus wichtig, aber da man ja als Austauschschüler sein Jahr dort verbringt, darf man seine akademischen Leistungen nicht außer Acht lassen. Für meinen Teil zumindest, ich hab mir, wo es nötig war, genug Mühe gegeben um am Ende des Jahres ein Einserschüler zu sein, und heute habe ich die Urkunden die dies wohl reflektieren.
Eine weitere Sache über den Schulalltag ist wohl die allgegenwärtige Präsenz des „Schoolspirits“; das ist der Stolz, ein Schüler der noch so kleinsten Schule zu sein, sei es nun an den Maskottchen während des Sports, der verschiedenen Sportteams und Heim-/ Auswärtsspielen oder des „Da Seins“. Ich für meinen Teil war überrascht, dass das aus diversen Filmen dargestellte Bild von Highschool Schülern nur minimal zutraf. Klar, gab es immer mal wieder größere mal kleinere Grüppchen aus Freunden, aber im Großen und Ganzen gab es nur wenige unfreundliche Personen mit denen man sich herumschlagen musste.
Natürlich gab es auch noch unglaublich viele andere Momente und Kleinigkeiten, welche sich wohl für immer in mein Gedächtnis gebrannt haben, unzählige kleine Abenteuer (im wahrsten Sinne des Wortes) , Herausforderungen, Erfolge, Niederlagen und Emotionen, die einen verändern und zu dem machen, was man heute ist. Mein Jahr war das wohl beste, was mir bis dahin passieren sollte, und so sollte es auch für jeden anderen sein, aber für jeden auf seine Weise einzigartig.
Es ist nicht zu verneinen, dass so ein Jahr im Ausland einen verändern wird. Neue Freundschaften, mehr Individualität und Unabhängigkeit sind nur einige Dinge die sich bei mir verändert haben, und bei mir war der „Reverse-Culture shock“ größer als ich es jemals gedacht hätte. Und was manchmal vergisst, ist wohl auch, dass man nicht der Einzige ist, der sich verändert. Ich denke, ich kann mein Auslandsjahr mit folgendem Zitat sehr gut beschreiben:
Man ist nie wieder ganz, denn man lässt einen Teil von sich zu Hause, und einen Teil zurück. Es ist wie, als hätte man nun ein zweites Zuhause. Das schlimmste hierbei ist jedoch nicht, dass es aufgehört hat, sondern dass man sich wünschte, nur noch einen weiteren Tag gehabt zu haben.